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Alles hat eine Geschichte. Die Frage ist, wie viel von dieser Geschichte sich wirklich in der dokumentierten Art und Weise zugetragen hat.
Prinzessin Irulan:
Das Leben des Muad'dib, Band 2
Das Scherbentheater von Balut war so erstaunlich, dass die Architektur drohte, die Jongleur-Aufführung in den Schatten zu stellen. Paul und Bronso standen vor den gerillten Toren, völlig benommen vom Anblick Millionen spiegelnder Prismen. Warum sollten die Leute an so einem atemberaubenden Veranstaltungsort den Akrobaten und Tänzern zuschauen wollen? Mit den hochaufragenden Kristalltürmen, den schrägen Flächen und den ineinandergreifenden Spiegeln und Linsen wirkte das Gebäude eher wie eine optische Illusion als wie etwas Materielles. Paul bildete sich ein, das Licht in der Luft riechen zu können.
Nachdem sie sich innerhalb einer Woche auf dem Planeten eingerichtet und die Einzelheiten der Hauptvorstellung geplant hatten, machten sich die Jongleurs an die Arbeit. Statt dem gefeierten Scherbentheater mit Ehrfurcht zu begegnen, machte Rheinvar sich Gedanken um mögliche Störungen des komplizierten Bühnenbildes, angefangen bei den durch die nicht lotrechten Wandflächen verursachten Beleuchtungsproblemen bis hin zu den Komplikationen, die die hohen Türmchen mit sich brachten, da sie die normalen Klangeigenschaften des Raumes mal verstärkten und mal dämpften. Er musste sich selbst drinnen umsehen.
Die kurzangebundene, geschäftsmäßige Gouverneurin Alra Kio öffnete die Kristalltore, um Rheinvar uneingeschränkten Zutritt zum Theater zu gewähren. »Ich beabsichtige, bei Ihrer Vorstellung meine Vermählung mit Preto Heiron offiziell vor großem Publikum bekanntzugeben. Ich verlange nur, dass Ihre Vorstellung perfekt ist«, sagte sie mit der Andeutung eines Lächelns. »Sorgen Sie dafür, dass Ihre Truppe die tadelloseste Show ihrer gesamten Laufbahn liefert.«
»Weiter nichts?«, fragte Rheinvar halb belustigt.
»Weiter nichts.« Obwohl sie rundlich und bekanntermaßen von reifem Alter war, hatte Gouverneurin Kio einen jugendlichen Körperbau und junge Haut, die sie zweifellos durch ausgiebigen und kostspieligen Melange-Konsum erhielt. Ihr Verlobter war sehr viel jünger.
Der Anführer der Jongleur-Truppe nahm seinen blendend weißen Zylinderhut ab. »Das Tun und Lassen der Tanztruppe liegen in meinem Bereich, doch die Politik überlasse ich Ihnen, Madam Gouverneurin.«
Sie rauschte davon, um sich wieder ihren Pflichten zuzuwenden, und ließ Rheinvar, Paul und Bronso allein, damit sie den Veranstaltungsort begehen und feststellen konnten, welche Anpassungen vorgenommen werden mussten. Der Jongleur-Anführer ging mit einem Notiz-Kristallprojektor voran, auf dem Blaupausen und akustische Projektionen des Vorstellungsraums gespeichert waren, so dass er den Aufbau seines großen Bühnenbilds planen konnte.
Die drei betraten den Zentralbereich der Arena, dessen Schönheit sogar die des verzierten Außenbereichs übertraf. Gouverneurin Kio und ihr junger Verlobter würden auf einem geschwungenen, separaten Balkon Platz nehmen, im Brennpunkt der reflektierten Lichtprojektionen und Audiowellen-Generatoren.
»Man findet nicht oft einen Ort, dessen wirkliche Substanz den Berichten über seinen Glanz und Glitter entspricht oder sie noch übertrifft.« Mit schnellen, geschickten Fingern machte Rheinvar sich Notizen auf dem Kristallprojektor, markierte die Stellen, an denen Spiegel angebracht werden mussten und hielt die richtigen Positionen für Laser-Projektoren und Verstärker fest.
»Dieses Scherbentheater wurde vor rund fünfzig Jahren von einem berühmten Architekten geplant und gebaut ... dessen Name mir gerade entfallen ist. Eine von Baluts reichsten Herrscherfamilien hat das gesamte Projekt finanziert, und die Einzelheiten wurden höchst vertraulich behandelt. Niemand außer dem Architekten selbst hatte alle Baupläne.«
Rheinvar dämpfte seine Stimme und benutzte die bekannten Jongleur-Tricks, um die Jungen in den Bann seiner Geschichte zu schlagen. »Doch dann, am großen Eröffnungsabend, fand man den reichen Patriarchen ermordet vor, von der Hand des Architekten. Einen Tag darauf fand auch der Architekt einen rätselhaften Tod. Es hieß, dass er das Opfer eines wütenden Angehörigen der Adelsfamilie wurde.«
»Ein beeindruckendes Drama«, bemerkte Bronso glucksend. »Klingt nach Stoff für ein neues Stück.«
Rheinvar fuhr mit ausdrucksstarker, geübter Stimme fort. »Manche sagen, dass das Scherbentheater ein mächtiges Geheimnis birgt, das nur dem Adligen und dem Architekten bekannt war. So heißt es zumindest. Ich kann nicht sagen, ob es der Wahrheit entspricht – aber es sollte so sein.«
Paul schaute sich in der Arena um, betrachtete die Winkel, Flächen, Prismen und Vergrößerungsgläser. Er erschuf ein Gestalt-Bild in seinem Kopf und analysierte jede Einzelheit, wie seine Mutter es ihn gelehrt hatte. Das Theater war ein monumentales Experiment in Sachen Physik, Optik und Harmonie.
Bronso schaute sich in alle Richtungen um. »Die Ingenieure von Ix hätten einen Heidenspaß daran, die Winkel und Brennpunkte hier zu dekonstruieren.«
Rheinvar stellte seine Notizen fertig und überreichte Paul den Kristallprojektor. »Der Plan ist folgender, Jungs. Ihr habt Haftscheiben, Haken, Klebemittel und Kabelleitwinden. Ich möchte, dass ihr dort, dort und dort Verstärkerspiegel aufhängt. Wenn ihr fertig seid, geht ihr mit einem Abtaststrahl drüber, um sicherzustellen, dass alle Oberflächen richtig ausgerichtet sind, und dann richtet ihr die Ersatzstationen an den fünf Stellen ein, die im Projektor vermerkt sind.«
Während Bronso freudig erregt über die verantwortungsvolle Aufgabe zu sein schien, sagte Paul: »Wollen Sie nicht, dass sich erfahrenere Bühnentechniker darum kümmern?«
»Andere sind vielleicht erfahrener, aber ihr beiden seid beweglich und furchtlos.«
»Zumindest ich.« Bronso warf Paul einen herausfordernden Blick zu.
»Ich bin der Genaue und Sorgfältige«, gab Paul zurück. »Also geben wir ein gutes Team ab. Zu zweit erledigen wir das, Herr.«